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Judo zur Selbstverteidigung

(c) Samuel Castro - unsplash.com
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Für Laien ist Judo ein Synonym für Selbstverteidigung. Aber im heutigen Mattenalltag widmet sich der Judounterricht in erster Linie dem Judowettkampfsport. Aufgrund der Nachfrage vor allem im Bereich Breitensport ist der Deutsche Judobund seit 2006 aktiv geworden, dass selbstverteidigungsinteressierte Judoka auch eine Möglichkeit haben, Judo aktiv zur Selbstverteidigung einsetzen zu lernen.

Welche Judotechniken eigenen sich am besten für den Ernstfall?

(c) Nathan Dumlao - Unsplash.com
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Vor 1969 war es üblich, dass im Breitensport-Judounterricht gegen Ende der Trainingseinheit immer ein paar Selbstverteidigungstechniken trainiert wurden. Wer vor diesem Datum eine Prüfung im Judo absolvierte, hatte als Judoka automatisch auch den gleichen Kyu- oder Dangrad in Jiu Jitsu.

Nach 1969 wurde das deutsche Ju Jutsu aus der Taufe gehoben und entwickelt, das als moderne Selbstverteidigung das alte Jiu Jitsu ablösen sollte und starke Verbreitung fand. Von da an gab es keine automatischen Doppelgraduierungen mehr und Judo ging seinen Weg weiter in Richtung eines olympischen Wettkampfsports, zu dem es seit 1964 gemacht worden war. Naturgemäß blieb das Selbstverteidigungstraining dabei immer mehr auf der Strecke. Es wurde also nicht mehr regelmäßig und von aktiven Wettkämpfern und Leistungssportlern praktisch gar nicht mehr geübt.

 

Links im Bild:

Kata Ashi Dori und Morote Gari sind im Freefight nicht umsonst die häufigsten und erfolgreichsten Wurftechniken überhaupt.

Meine eigenen Erfahrungen aus dem Training

Als Jugendlicher übten wir Mitte der Achzigerjahre auf Wunsch vielleicht einmal jährlich für eine knappe halbe Stunde anstatt Randori freie Angriffe abzuwehren, ohne dazu größere Anleitungen von unserem Übungsleiter zu erhalten. Es machte tierischen Spaß. In der Regel überrannten wir den Angreifer einfach. Eine Taktik, die im Grappling gegen Gegner die treten und Schlagen nicht unüblich ist. Wenn Angreifer und Verteidiger am Boden lagen, pflegte unser Übungsleiter zu sagen: "Nun ja, am Boden wisst Ihr ja Bescheid...". In den Anfängen des UFC galt das auch noch. Die Athleten, die stark am Boden waren, waren in erster Linie darauf bedacht, ihre schlag- und trittfreudigen Gegner schnell zu Boden zu bringen, um ihre Stärken voll auszuspielen. Doch über die Jahre hat sich die Freefight Szene stark weiterentwickelt und fast alle haben solide Bodenkampfskills zu bieten. Man fühlt sich nach solch einem Training stark und wägt sich für eine körperliche Auseinandersetzung außerhalb der Matte sicher, aber das ist eine trügerische Sicherheit.  

 

Auf einem Judoseminar bei einem hochrangigen Lehrer wurden auch Fragen zur Selbstverteidigung mit Judo gestellt. Darauf erzählte uns Frank Thiele (damals 7. Dan) eine Geschichte, die er erlebt hatte: Früher als junger Kämpfer (3. Dan) auf Europameisterschaftsebene wurde er auf der Straße von mehrere Typen angepöbelt und schließlich angegriffen. Er schnappte sich den ersten Angreifer an seiner Jeansjacke und drehte sich zum Tai Otoshi ein. Plötzlich hörte man ein lautes "Crack!" und Frank Thiele hatte die beiden abgerissenen Revers seines Angreifers in der Hand. Aufgrund des Wurfeingangs stand er mit dem Rücken zu seinem Angreifer, was wohl die gefährlichste Position überhaupt in solch einer Situation sein kann. Die 3 Halbstarken waren total erschrocken und rannten Gott sei dank weg. Das hätte sonst böse für den Verteidiger enden können! Frank Thieles Fazit darauf war, dass Judo immer irgendwie eine Form von Selbstverteidigung ist...und dass man in Selbstverteidigungssituationen niemals Stoff greifen sollte! Heute unterrichtet Frank Thiele (9. Dan) Judo als ein ganzheitliches System, wozu natürlich auch die Selbstverteidigung unter Einbezug ALLER Judotechniken gehört.

 

Als Erwachsener nahm ich so ungefähr 2007 in meinem damaligen Düsseldorfer Judoverein an einem Jiu Jitsu Lehrgang für Judoka teil, was recht interessant war. Ich war damals schon als Wing Tsun Übungsleiter aktiv und doch etwas schockiert, dass die Angriffe, gegen die wir verschiedene Verteidigungen lernten, einfach so passierten. Aber dazu später mehr.

Mit Judo zurück in die Zukunft

Ursprünglich entwickelte Jigoro Kano sein Judo aus mehreren traditionellen Jiu Jitsu Stilen. Diese Stile stammen vom Kumi Uchi ab , den Nahkampftechniken der Samurai, die zum Kampf auf Leben und Tod - also zur Selbstverteidigung - früher verwendet wurden. Es ist sehr interessant zu sehen, welche Techniken und Taktiken damals verwendet wurden, die wir heute noch im Judo finden, obwohl Jigoro Kano für den sportlichen Wettkampf alle gefährlichen Techniken aus seinem System entfernt hatte, um ein sicheres Training zu gewährleisten. Natürlich kamen damals auch Waffen zum Einsatz. Noch heute gibt es Gruppen, die Kumi Uchi in Samurairüstungen trainieren, wie Du gleich in den Videos von Chadi sehen wirst.


Seit 2006 können Judo-Übungsleiter einen Fachlehrgang zum SV-Lehrer beim DJB für Selbstverteidigung absolvieren, der sie dazu qualifiziert, Judotechniken selbstverteidigungsbezogen zu unterrichten.

 

Seit 2011 ist es ab Grüngurt möglich, die geforderten Judotechniken zur Gürtelprüfung auch aus Selbstverteidigungssituationen heraus zu demonstrieren.

 

Mit Prof. Dr. Dr. Dr. Mario Staller wurde ein Polizist aus Wiesbaden mit Erfahrung im Judo, Ju Jutsu und Krav Maga gewonnen, der für den DJB ein realistisches Selbstverteidigungsprogramm mit Hand und Fuß erstellt hat, das als Musterbeispiel für Dan-Prüfungen im Judo gilt. Es gibt von ihm dazu begleitende, gute Lehr-DVDs.

Die Voraussetzungen zum SV-Training

Es ist vielerorts Konsens, dass im Judo erst ab 3. Kyu aka Grüngurt intensiv Selbstverteidigung trainiert wird bzw. es auch für die Gürtelprüfung zugelassen ist, weil erst ab diesem Ausbildungsstand eine Grundsicherheit in den wichtigsten Judotechniken und das nötige Körpergefühl besteht, um wirklich ernsthaft jede SV-Situation zu trainieren.

 

Nach meiner Meinung sollte es separate SV-Klassen geben, die sich ausschließlich und ernsthaft mit Selbstverteidigung befassen, weil es im Vergleich zum Wettkampfsport zu viele Unterschiede und auch viele neue (Judo!)Techniken gibt, die Du Dir als Judoka aneignen musst. Es sollte am besten nicht im Judogi, sondern in Straßenkleidung trainiert werden.

 

Zu den neuen Techniken, zu denen vor allem Schläge und Tritte zählen, die mit der nötigen Trefferwirksamkeit gegen Schlagpolster oder Schutzausrüstung trainiert werden müssen, gesellen sich mehrere, weitere Hebeltechniken und vielleicht die eine oder andere Wurftechnik, die im Wettkampfsport nicht erlaubt ist. Und alles sind Judotechniken, solange Dein Lehrer keine Fremdanleihen aus anderen Disziplinen vornimmt. Das Arsenal des Kodokan Judo ist größer, als Du denkst!

 

Morihei Ueshiba, Gründer des Aikido, sagte einmal, dass in einer ernsthaften Selbstverteidigungssituation 80% Atemitechniken (Schlagen und Treten) und nur 20% Grapplingtechniken verwendet werden sollten. Eine ähnliche Aussage traf - glaube ich - auch mal Meister Kyuzu Mifune, 10. Dan Judo. Das unterstreicht nochmals die Wichtigkeit, Deine Hände und Füße in schlagkräftige Waffen zu verwandeln, wenn Du ernsthaft Judo-Selbstverteidigung erlernen möchtest. 

 

Nun kommt für mich wohl der wichtigste Unterschied zum Kampfsport: (erinnerst Du Dich weiter oben an die plötzlich auftretenden Angriffe?) Angriffe geschehen fast immer nicht einfach so, sondern es geht der Angriffssituation ein gewisses Szenario voraus, das Du erkennen und kontrollieren lernen musst! Du musst lernen, achtsam und umsichtig Deine Umgebung zu beobachten, ob Dich potentielle Angreifer nicht als mögliches Opfer ausmachen und Dir zu nahe kommen. Wenn sich eine Konfrontation anbahnt, der Du nicht mehr elegant ausweichen kannst, sind Deine Kommunikations- und Deeskalationsfähigkeiten gefragt, um eine Auseinandersetzung zu verhindern und anwesenden Passanten möglichst klar zu zeigen, dass Du gerade bedrängt wirst und nicht der Angreifer bist.

 

Im Ernstfall gibt es keine begrenzte Kampfzeit, weiche Kampffläche oder Kampfregeln. Aus einem Gegner können plötzlich mehrere werden. Schlecht, wenn Du Dich gerade dann im Bodenkampf befindest und nicht aufstehen kannst. Es können Waffen ins Spiel kommen, was die Gefahr eines Angriffs potenziert! Sieh Dir dazu das obige, spielerische Video Judo vs Knife (Judo gegen Messerangriffe an, um zu sehen, wie viele Chancen Du gegen einen realistischen Messerangriff im Ernstfall hättest.) Von Sutemi Waza ist bei einem Betonboden eher abzuraten; insbesondere wenn vielleicht noch Glasscherben am Boden liegen. Hundekot wäre hier das wirklich kleinere Übel.

 

Zur Ausführung Deiner Techniken: Deine Wurftechniken entfalten auf hartem Boden bei einem Gegner, der nicht Fallen gelernt hat, eine deutlich zerstörerische Wirkung als im Training auf der Matte mit einem Judoka. Dein Angreifer kennt wohl auch kein Tapout. Daher kann es zu Panikattacken Deines Angreifers kommen. Bei Hebeltechniken besteht dann schnell die Gefahr, dass Dein Angreifer sich selbst mehr verletzt, als Du es wolltest. 

 

Das sind alles sehr wichtige Aspekte, die in Rollenspielen intensiv trainiert werden müssen.

Geeignete Judowürfe zur Selbstverteidigung

Judowürfe für die Selbstverteidigung sollten

  • einfache Techniken sein, die man früh erlernt
  • eine gute Sandsicherheit bei der Ausführung bieten
  • ohne das Greifen der Kleidung des Gegners gut auszuführen sein
  • Du solltest möglichst nicht in Bodenlage beim Werfen kommen

In der Nage-no-Kata wird an ein paar Würfen demonstriert, wie Du Deinen Gegner werfen kannst, ohne Stoff zu greifen. Stichworte aus dem Grappling: Overhook, Underhook und Waistgrip.

 

Je nachdem wie fortgeschritten Du als Judoka bist, kannst Du Dir natürlich aus Deinen persönlichen Lieblingstechniken etwas Passendes aussuchen. In den Danprüfungen bis zum 3. Dan kannst Du auch gezielt Deine Tokui Waza in Selbstverteidigungssituationen demonstrieren.

 

Hier habe ich 8 Wurftechniken ausgewählt, die ich besonders nützlich finde:



O-Soto-Gari ist der Wurf, den ich bisher in jedem Programm für militärischen Nahkampf wiedergefunden habe. Das Wegsicheln des gegnerischen Beines kann auch alternativ durch einen Tritt in die gegnerische Kniekehle ersetzt werden. Ein Handballenstoß unter das gegnerische Kinn eignet sich gut zur Gleichgewichtsbrechung nach hinten. In der Praxis dürfen die Grenzen zwischen O-Soto-Gari und O-Soto-Otoshi gerne verschmelzen. Diese Wurftechnik ist an sich vom Charakter sehr offensiv.

 

Ko-Soto-Gake ist ein Wurf, den man auch häufig im MMA / Mixed Martial Arts sieht. Sehr einfach und effektiv, wenn Du Dich dicht am Gegner befindest.

 

Für O-Uchi-Gari gibt es in der Selbstverteidigung einen Klassiker in der Anwendung gegen einen Fußtritt: Das gegnerische Standbein wegsicheln und der Gegner fällt.

 

Ko-Uchi-Gari funktioniert gut im Infight gegen das belastete Standbein des Gegners. Wenn dieser seinen anderen Fuß nicht voll am Boden hat, wir er gefällt wie ein Baum. Ko-Uchi-Gari aber auch Fußfeger in der entsprechenden Situtation wenn der Gegner sich bewegt, sind sehr schnell und irritieren zumindest den Angreifer, wenn der Wurf ihn nicht zu Fall bringt.


Uki-Goshi ist gut dazu geeignet, den Schwung des gegnerischen Angriffs aufzunehmen und flüssig weiterzuleiten...wie zum Beispiel bei einer Ohrfeige oder einem Schwinger des Gegners.

 

Beim Ippon-Seoi-Nage ist es ähnlich, wenn der Gegner schiebt oder Dich auf Schulterhöhe von hinten oder von der Seite umklammert. 

 

Koshi-Guruma, der "Schwitzkastenwurf" wie ich ihn gerne nenne, ist ebenfalls vielseitig verwendbar, wenn die Schlagkraft des Angreifers neutralisiert ist und Du auf Wurfdistanz Deinen Gegner schnell zu Boden bringen willst. Der Griff um den Kopf des Gegners gibt Dir noch mehr Kontrolle als beim Schulterwurf.

 

Sukui-Nage ist wieder ein Klassiker gegen Angreifer, die Dich von hinten umklammern. Falls Du hier mit zu Boden gehen solltest, achte bitte darauf, dass Du auf Deinen Angreifer fällst, um Dich zu schützen. Der Schaufelwurf gilt zwar als etwas fortgeschrittenere Technik, ist aber für diese Situation perfekt geeignet.

Bodenkampf in der Judo-Selbstverteidigung

(c) Nathan Dumlao - Unsplash.com
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Regel Nummer 1 in der Judo-Selbstverteidigung:

 

Vermeide so gut es geht den Bodenkampf!

 

Regel Nummer 2 in der Judo-Selbstverteidigung:

 

Wenn Du den Bodenkampf nicht vermeiden kannst, dann beende ihn so schnell wie möglich und kehre in den Stand zurück, wo Du wieder Deine volle Mobilität hast.

 

Ein weiser Selbstverteidigungslehrer sagte mir einmal: "Bodenkampf ist wie Kämpfen mit dem Rücken zur Wand...nur horizontal."

Das bringt es für mich gut auf den Punkt. P.S.: Fallen und Bodenkampf auf Asphalt ist auch nicht ganz so angenehm wie auf Matten.

 

Des weiteren gilt natürlich auch hier: Konzentriere Dein Training auf einfache und schnell wirksame Techniken, die keinen Bekleidungsstoff zur Ausführung benötigen. Schläge und Tritte gehören mit zum Bodenkampf!

 

Natürlich gibt es klassische Bodenkampfsituationen, die besonders von Frauen geübt werden müssen. Ich spreche vom Vergewaltigungsversuch.

Bitte denke auch und gerade in Bodenkampfsituationen daran, dass Du nicht in einem Judowettkampf bist: an den gegnerischen Haaren ziehen, ins Gesicht fassen, schlagen und treten oder auch beißen ist hier in Ordnung, solange es eine verhältnismäßige Verteidigung ist.

Geeignete Würgetechniken zur Judo-Selbstverteidigung

Hier können wieder nur sicher Techniken ausgewählt werden, die ohne Zuhilfenahme der Kleidung des Gegners durchgeführt werden können. Da gibt es eigentlich nur die Würgetechnikgruppe Hadaka Jime, die mit zu den ersten Würgetechniken zählt, die Du als Judoka lernst. Ude Sankaku Jime sehe ich als eine artverwandte Würgetechnik zu Hadaka Jime an.

 

Omote Sankaku Jime ist grundsätzlich eine gute Idee, birgt aber auch Risiken. Aus dieser Position heraus könnte Dein Gegner Schläge in Deinen Genitalbereich anbringen oder in Deinen Oberschenkel beißen, wenn Du seinen Kopf (noch) nicht richtig unter Kontrolle hast.

 

Eine weitere, alte Jiu Jitsu Technik Hiza Jime ist grundsätzlich zu gefährlich, so lange es um keine lebensbedrohlichen Situationen geht. Ein Türsteher kniete sich einmal auf die Halsseite eines Unruhestifters, um ihn am Boden zu fixieren. Als die Polizei eintraf, war der Unruhestifter tot.

 

Bei Würgetechniken gilt, im Gegensatz zum regelbasierten Judosport: Dein Gegner kennt keinen Tapout. Dein Gegner ist bei einem wirksamen Würgegriff auch zu keiner Sprackäußerung mehr imstande. Somit kann er Dir nicht signalisieren, dass Dein Würgegriff tatsächlich funktioniert. Das merkst Du erst, wenn Dein Gegner kraftlos zusammenbricht. Auch hier kann ein unkontrollierter Sturz den Angreifers zu Boden einen deutlich größeren Schaden anrichten als die verhältnismäßig sanfte Würgetechnik, wenn sie dann technisch einwandfrei ausgeführt wurde. Würgetechniken sind das sicherste Mittel der Wahl, um einen Angreifer, der unter Drogeneinfluss steht, auszuschalten. 

 

Hier wieder ein paar Beispiele in Videoform über die besten Würgetechniken zur SV:



Geeignete Hebeltechniken zur Judo-Selbstverteidugung

Mit Hebeltechniken kannst Du Deinen Gegner kontrollieren, fixieren, lenken und verletzen. Die besondere Gefahr besteht hier, dass Dein Gegner, der weder Hebeltechniken kennt, noch weiß, wie weit Du bei ihm gehst, sich in Panik selbst mehr verletzen kann, als Du es ursprünglich beabsichtigt hast. Wenn Du Deinen unter Kontrolle gebrachten Gegner mit einem Hebel nicht schocken oder das Gelenk sofort brechen willst, ist es wichtig, mit Deinem Gegner zu sprechen, ihm kurze klare Anweisungen zu geben und ihm die Konsequenzen bei Nichtbefolgung anzukündigen:

 

"Bleiben Sie ruhig in dieser Position, dann tue ich Ihnen auch nicht weh."

 

"Sie lassen sich von mir jetzt Ihren linken Arm auf Ihren Rücken führen, sonst tut es weh."

 

"Folgen Sie mir widerstandslos in die Richtung, in die ich Sie führe, sonst muss ich Ihnen weh tun."

 

Nur bei der Ultimo Ratio wird das Gelenk des Gegners sofort und ohne weitere Vorankündigung konsequent gebrochen bzw. ausgerenkt, um Deinen Gegner kampfunfähig zu machen. 

 

Die beiden wichtigsten Armhebeltechniken in der Selbstverteidigung lernst Du als erste: Ude Garami bzw. Gyaku Ude Garami ist der typische Abführgriff, um Deinen Gegner kontrolliert zur nächsten Polizeiwache abzuführen. Juji  Gatame ist vor allem als Gyaku Juji Gatame gegen einen zwischen Deinen Beinen angreifenden Gegner - die typische Vergewaltigungssituation! - für die Selbstverteidigung relevant. Die mittlerweile im Judowettkampf verbotenen Armhebel im Stand sind für die Selbstverteidigung umso interessanter. In der Kime no Kata und der Goshin Jitsu no Kata wird von ihnen reichlich Gebrauch gemacht.

 

Hier wieder ein paar Anwendungsbeispiele auf Video, um eine Vorstellung über die Wirkungsweise dieser Techniken zu erhalten:



Wie gesagt gibt es für die Judo Selbstverteidigung neben den bekannten Armhebeln auch noch weitere Hebelarten aus dem Judo neu zu erlernen:

  • Fingerhebel
  • Handhebel
  • Beinhebel
  • Kniehebel
  • Fußhebel
  • Genickhebel

Eignen sich auch Judo-Haltetechniken zur Selbstverteidigung?

Eigentlich widersprechen Haltetechniken einem fundamentalen Grundprinzip, dass ich für den Bodenkampf in der Selbstverteidigung schon genannt habe: Bleibe nicht länger am Boden als unbedingt nötig, denn am Boden bist Du für weitere Angreifer eine leichte Beute!

 

Im Judo sind Haltetechniken ein Selbstzweck, denn ich kann mit ihnen nach 25 Sekunden einen Wettkampf gewinnen. In der Selbstverteidigung gibt es keine Regeln und kein Zeitlimit. Je schneller ich einen Kampf beenden kann, desto sicherer ist es für mich. Punkt.

 

Im Judo, aber vor allem im Brazilian Jiu Jitsu (BJJ) sieht man Haltetechniken auch als Werkzeug, den Gegner zuerst zu kontrollieren, um dann Würge- und Hebeltechniken und im  MMA auch Schläge aus dieser kontrollierten Position sicher anzubringen. Das macht viel Sinn. Im Ernstfall kann ich das nur riskieren, wenn ich sicher weiß, dass ich wirklich nur einen Gegner habe oder wenn ich meinen Angreifer möglichst schonen möchte.

 

So etwas hatte ich früher mal in der Schule erlebt, als zwei Schüler in Streit gerieten und es zu einer Rangelei kam. Einer der beiden war ein erfahrener Judoka (damals ein Blaugurt). Der Angreifer wurde schnell unter Kontrolle gebracht und landete hilflos in einem Kesa Gatame. Der Verteidiger sagte laut und deutlich zu seinem Angreifer: "Hörst Du jetzt endlich auf mich zu ärgern und gibst auf?" Der Angreifer merkte, dass er keinerlei Chancen hatte und willigte ein. Er ließ ihn von diesem Tage an auch für immer in Ruhe. So kann die Sanfte Kunst auch einen Sieg erringen, ohne zu schaden.

 

Als taugliche Haltegriffe halte ich vor allem den klassischen Uki Gatame - im BJJ als Knee-on-bellly bekannt - für den Ernstfall geeignet. Andere Haltetechniken mit der Option zur integrierten Würgetechnik wie

  • Kata Gatame
  • Kata Osae Gatame
  • Tate Shiho Gatame

können sinnvoll sein. Trotzdem möchte ich bei allzugroßer Nähe zum Gegner vor der möglichen Gefahr von Fingerstichen in die Augen und Bissen ausdrücklich warnen!


Judo Selbstverteidigung im traditionellen Sinne

Ursprünglich wurde Selbstverteidigung im Judo fast ausschließlich in der Form von Katas geübt, die exakt vorgeschriebenen Bewegungsabläufen für die beteiligten Judoka vorschreibt. Mittlerweile ist man sich einig geworden, dass diese choreographierten Angriffe und Verteidigungen nur Anwendungsbeispiele für den Ernstfall darstellen und kein Dogma (Nur so und nicht anders!) sind, was viele Praktizierende Jahre zuvor immer noch annahmen.

 

Kata konserviert Techniken, Handlungsanweisungen und Prinzipien für die Nachwelt und ermöglicht eine sichere Übungsform. Natürlich muss man auch Wissen, welche Prinzipien oder welche Ablaufgeschichte hinter einer Kata steht, damit es nicht nur ein dumpfes Abspulen von Techniken in einer festgelegten Reihenfolge bleibt.

 

Die erste offizielle Judo-Kata des Kodokan zum Thema Selbstverteidigung war die Kime no Kata. Sie entstand um 1888 und enthielt noch viele traditionelle Elemente des Kampfes in Japan, die heute besonders in der westlichen Welt nicht mehr zeitgemäß sind, wie zum Beispiel das Üben im Kniestand oder Angriffe mit einem Samuraischwert. Auf eine andere Art und Weise war die Kime no Kata für ihre Zeit sehr fortschrittlich und brach mit einer Tradition: es wurden hier auch Fremdtechniken aus anderen Kampfsystemen - namentlich dem Boxen - als Angriffe mit eingebracht. Außerdem dienten die Messer- und Schwertangriffe und Verteidigungen dagegen auch dazu, dass der Judoka Waffen kennen und einsetzen lernen sollte. Die Waffenprinzipien lassen sich zur Selbstverteidigung  auch auf Alltagsgegenstände wie einen Regenschirm übertragen.

 

Im Jahr 1956 schuf der Kodokan die Goshin Jitsu no Kata als offizelle Kodokan Kata. Goshin Jitsu ist die moderne Form der Judo Selbstverteidigung in die auch Elemente des Tomiko Aikido mit eingeflossen sind. In einem folgenden Video wird diese Kata meisterlich demonstriert.

 

Anzumerken ist, dass ich die Verteidigungen gegen Waffenangriffe eher als mögliche Notlösungen sehe, bevor man sich freiwillig abstechen oder erschlagen lässt. Wieder verweise ich auf das obige Video Judo vs Knife. Darum gebe ich Jigoro Kano auch aus ganzem Herzen recht, dass jeder fortgeschrittene Judoka auch zumindest grundlegende Kenntnisse und Fertigkeiten mit Waffen haben sollte, um im Ernstfall gegen einen bewaffneten Angreifer zumindest ansatzweise eine realistische Chance zu haben bzw. in der Lage zu sein, diese grundlegenden Kenntnisse auch auf Alltagsgegenstände übertragen zu können. 

 

Traditionell in Japan ist bei der Prüfung zum 5. Dan das Prüfungsfach Kata der Selbstverteidigung gewidmet. In Deutschland können die Kime no Kata wahlweise zum Prüfungsprogramm des 3. Dan oder 5. Dan und die Goshin Jitsu no Kata wahlweise zum 4. Dan gezeigt werden. SV-Training wird ab 3. Kyu empfohlen und kann mit einzelnen Techniken ab dann auch in der Prüfung gezeigt werden.

Seiryoku Zenyo Kokumin Taiiku ist eine Judo-Kata, deren 1. Teil sich gut in ein Aufwärmprogramm eingliedern ließe. Dieser erste Teil besteht aus Schlägen und Tritten, die als Einzelübungen gut in der Gruppe ausgeführt werden können. Der 2. dieser Kata enthält auch Partnerübungen zur Selbstverteidigung, die der Kime no Kata entnommen wurden. Der 3. Teil an Partnerübungen entstammt der Ju no Kata, die den Umgang mit gegnerischen Kräften lehrt, die auf einen Verteidiger einwirken. Die Soloübungen siehst Du im folgenden Video: 

Seiryoku-Zenyo-Kokumin-Taiiku

Ich hoffe, Dir jetzt alle wichtigen Informationen gegeben zu haben, damit Du weißt, was Du in einem sinnvollen Training für Selbstverteidigung mit Judo brauchst, um sicher und realistisch trainieren zu können. Dabei wünsche ich Dir viel Spaß & Erfolg!

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